Artikel • 28/11/2024

Überbrückungshilfe Stadt Bern

Aufgrund der auch nach der Corona-Pandemie vorherrschenden Armut startete die Stadt Bern anfangs 2023 ein Projekt zur Überbrückungshilfe, mit dem Ziel das menschenwürdige Dasein von Personen zu sichern, die gar nicht oder nur mit gewichtigen Nachteilen reguläre Sozialhilfe beziehen können. Nach einer positiven Evaluation des Projektes beschloss der Gemeinderat dieses bis Ende 2024 zu verlängern. Seit Februar 2024 ist das Projekt jedoch aufgrund einer Beschwerde von SVP-Politikern blockiert und aktuell beim kantonalen Verwaltungsgericht hängig. Dank diesem Projekt konnte auch unsere Stelle Personen mit Lebensmittelpunkt in der Stadt Bern in einer Notlage zum Beispiel bei Gesundheitskosten unterstützen und wo dringend nötig Migrosgutscheine für Lebensmittel abgeben.

Karin Jenni, Bulletin Nr. 26 11/2024

Rückblick: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie und die ab Februar 2020 dagegen erhobenen Massnahmen führten dazu, dass viele Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung oder mit prekärem Aufenthaltsstatus zumindest vorübergehend ihre Arbeit verloren oder auf einen Teil ihres Einkommens verzichten mussten. Aufgrund der fehlenden Aufenthaltsbewilligung konnten insbesondere Sans-Papiers keine staatliche Unterstützung beantragen und die sowieso schon prekären Lebenssituationen verschlechterten sich dadurch massiv. Auch Personen mit gültiger Aufenthaltsbewilligung, wie B, C, F oder L, verzichteten oftmals auf staatliche Hilfe. Dies aus Angst, ihre Bewilligung zu verlieren oder in Zukunft aufenthaltsrechtlichen Nachteilen ausgesetzt zu sein. Viele Städte reagierten damals und gewährten Gelder zur Unterstützung während der Corona-Pandemie, die von unabhängigen Stellen vergeben werden konnten. Die Stadt Bern stellte damals Einkaufsgutscheine zur Verfügung, welche unsere Stelle an Personen mit Lebensmittelpunkt in der Stadt Bern vergeben konnte. Die meisten Corona-Hilfsgelder für Sans-Papiers wurden allerdings von kirchlichen Organisationen, Privatpersonen und von Stiftungen wie der Glückskette zur Verfügung gestellt. Dank diesen Geldern konnte unsere Stelle im ganzen Kanton Bern während der Corona-Pandemie von März 2020 bis Ende 2021 insgesamt 161 Haushalte mit 120 Frauen, 60 Männern und 38 Kindern unterstützen.

Die Armut nach der Pandemie

Nach der Pandemie zeigte sich, dass die während der Pandemie entstandene oder sichtbar gewordene Armut nicht einfach weg war. Viele konnten nur teilweise oder gar nicht an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Hinzu kamen die Teuerung und die erhöhten Strompreise. Ein von der Stadt Bern während Corona eingeführter Runder Tisch zum Thema Armut wurde in der Folge auch nach der Pandemie weitergeführt. Unsere Stelle nimmt bis heute regelmässig an diesem Runden Tisch teil und kann dort die Anliegen und Perspektiven der Sans-Papiers einbringen und sich mit behördlichen Stellen sowie NGOs, Kirchgemeinden und unabhängigen Beratungs- und Anlaufstellen austauschen. Der Austausch am Runden Tisch hatte auch Wirkung auf die Ziele der Exekutive der Stadt Bern. So verabschiedete der Gemeinderat der Stadt Bern am 16. März 2022 die «Strategie zur Förderung der beruflichen und sozialen Integration in der Stadt Bern 2022-2025», u.a. mit dem Ziel (Massnahme 6 der Strategie), dass er niederschwellige Hilfen schaffen möchte, um ein menschenwürdiges Dasein von Personen zu sichern, die nur mit gewichtigen Nachteilen reguläre Sozialhilfe beziehen können. In der Strategie hält der Gemeinderat fest, dass die Corona-Pandemie aufgezeigt habe, dass aufgrund der repressiven Migrationsgesetzgebung immer mehr Menschen auf reguläre Sozialhilfe verzichten und dafür Not in Kauf nehmen. Dies führe zu einer gefährlichen Unterschichtung, welche die Gesellschaft schwäche. Deshalb brauche es niederschwellige Hilfen zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins und zum Erhalt sozialer Integration.

Die Eckpunkte der Überbrückungshilfe Stadt Bern

Als Folge der vom Gemeinderat verabschiedeten Strategie entwickelte die Stadt Bern, ähnlich wie die Städte Zürich und Luzern, ein Pilotprojekt zur Überbrückungshilfe, welches Anfang 2023 mit einem Budget von 200‘000 Franken startete. Unterstützt werden sollten ausschliesslich Ausgaben in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, Kleidung und Nahrung. Die Überbrückungshilfe sollte in Verbindung mit einer Kurzberatung ausgerichtet werden, welche eine Standortbestimmung und eine Orientierung für die Zukunft beinhaltet. Als Zielgruppen wurden definiert: Sans-Papiers, die keine Sozialhilfe beziehen können, und Personen mit B-, C-, F- oder L-Bewilligung, die zwar Anspruch auf Sozialhilfe haben, jedoch ausländerrechtliche Konsequenzen befürchten und deshalb häufig keine Sozialhilfe beantragen. Unterstützt werden konnten Einzelpersonen, Paare und Familien, die durchgehend seit mindestens zwei Jahren in der Stadt Bern wohnhaft waren oder aufgrund ihres Lebensmittelpunktes eine enge Verbundenheit zur Stadt Bern glaubhaft machen konnten. Eine Unterstützung dieser Personen kam in Betracht, wenn ihr Einkommen unter den SKOS-Richtlinien lag und sie keine Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen bezogen. Im Unterschied zur Sozialhilfe bestand kein Anspruch auf Unterstützung. Pro Person und Paar oder Familie wurde eine Unterstützungs-Limite festgelegt (3000 Franken respektive 5000 Franken, plus pro Kind zusätzlich 500 Franken) und der Bezug war zeitlich auf sechs Monate befristet (im Ausnahmefall auf neun Monate verlängerbar). Mit der Durchführung des Projektes wurde die Fachstelle Sozialarbeit der katholischen Kirche Region Bern beauftragt. Zudem wurden Partnerorganisationen definiert, welche bereits bisher im Kontakt mit den Zielgruppen standen und deren Rolle darin bestand, die Unterstützungssuchenden zu beraten und bei Erfüllung der Bezugskriterien ein Gesuch bei der Durchführungsstelle einzureichen und Lebensmittelgutscheine direkt zu vergeben. Unsere Stelle war dabei zuständig für die Abklärungen und Gesuche für Personen ohne Aufenthaltsbewilligung.

Positive Auswertung

Das Projekt der Stadt Bern wurde von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Von Januar 2023 bis Ende August 2023 konnten gemäss Evaluationsbericht 365 Personen (147 Dossiers), darunter 137 Kinder, Überbrückungshilfe im Wert von rund 133‘082 Franken beziehen. 29‘300 Franken wurden in Form von Gutscheinen verteilt. 43 Dossiers betrafen Sans-Papiers, wobei es dabei mehrheitlich um die Abgabe von Migros-Gutscheinen für Lebensmittel ging und wir lediglich in 10 Fällen ein Gesuch um Übernahme von Rechnungen stellten. Die ZHAW kam im Bericht zum Schluss, dass die Überbrückungshilfe mit ihren schnellen, unkomplizierten Abläufen ein geeignetes Instrument darstellt, um vor unmittelbarer Not zu schützen und dass durch die Überbrückungshilfe eine gewichtige Lücke im System der sozialen Sicherheit geschlossen werden kann. Der Gemeinderat der Stadt Bern beschloss im Anschluss an die positive Evaluation im Dezember 2023 das Projekt bis Ende 2024 zu verlängern.

Blockade durch Beschwerde

Im Februar 2024 reichten SVP-Politiker beim Regierungsstatthalteramt Beschwerde gegen die Verlängerung des Projektes ein, weshalb die Überbrückungshilfe seither blockiert ist. Laut den Beschwerdeführenden umgehe die Stadt mit dem Projekt die Meldepflicht, gemäss welcher die für die Ausrichtung von Sozialhilfe zuständigen Behörden der jeweiligen Migrationsbehörde den Bezug von Sozialhilfe durch Ausländer:innen melden müssen. Deswegen verstosse die Überbrückungshilfe gegen übergeordnetes Recht. Am 10. September 2024 vermeldete das Regierungsstatthalteramt, dass es die Beschwerde gegen die Verlängerung des Projektes gutheisse, da das Amt zum Schluss gekommen sei, dass es sich bei dieser Überbrückungshilfe um Sozialhilfe handle und deswegen eine Meldepflicht bestehe. Gegen diesen Entscheid reichte die Stadt Bern ihrerseits am 20. September 2024 Beschwerde ein und die Frage wird nun vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern verhandelt werden. Für die Armutsbetroffenen bleibt zu hoffen, dass das Verwaltungsgericht den Entscheid des Regierungsstatthalteramtes korrigiert, so dass auch in Zukunft das menschenwürdige Dasein von Personen in einer Notlage mit solchen Projekten gesichert werden kann.